Das Jahr 664 n. Chr. in Whitby, Yorkshire: Ein Sturm braut sich zusammen, doch nicht nur auf dem tosenden Meer. An Land entbrennt eine heftige Debatte, die die Zukunft des Christentums in England nachhaltig prägen wird. Im Zentrum steht die Synodus von Whitby, eine Kirchenversammlung, die den Streit zwischen zwei unterschiedlichen christlichen Traditionen zum Thema hat: der römischen und der keltischen Kirche.
Die keltische Kirche, die sich im nordöstlichen Teil Englands etabliert hatte, folgte dem “keltischen Ritus”, der unter anderem den Ostersonntag nach einem anderen Kalender berechnen ließ als der römische Ritus. Dieser Unterschied in der Datumsberechnung war mehr als nur ein akademischer Streitpunkt - er führte zu erheblichen organisatorischen und liturgischen Problemen.
Die Synodus von Whitby, initiiert durch den Northumbrischen König Oswiu, sollte die Frage klären, welcher Ritus in England Geltung haben sollte. Die keltische Kirche war seit Jahrhunderten in Irland und Schottland präsent und hatte einen großen Einfluss auf den Norden Englands. Doch mit der zunehmenden Macht des fränkischen Reiches im Westen Europas breitete sich auch die römische Liturgie aus.
König Oswiu, ein frommer Mann, sah sich gezwungen, eine Entscheidung zu treffen, die für die religiöse Einheit seines Königreichs von entscheidender Bedeutung war.
Auf der Synodus von Whitby, die in einer alten Klosterkirche stattfand, standen sich zwei prominente Vertreter des Glaubens gegenüber:
- Wilfrid: Ein leidenschaftlicher Verfechter des römischen Ritus und erfahrener Missionar, der zuvor in Rom studiert hatte.
- Colman: Ein hochgeachteter Abt aus Iona, einem Zentrum der keltischen Kirche, der den alten keltischen Ritus verteidigte.
Die Debatte dauerte mehrere Tage und umfasste tiefgründige theologische Auseinandersetzungen über die Berechtigung der beiden Traditionen. Wilfrid argumentierte, dass der römische Ritus von Petrus, dem “Schlüsselträger des Himmels”, gegründet wurde, und deshalb göttlich legitimiert sei. Colman hingegen betonte die lange Tradition und den tiefen Glauben der keltischen Kirche.
Die Synodus von Whitby endete schließlich mit einem Sieg für Wilfrid und den römischen Ritus. Oswiu entschied sich für die römische Liturgie als verbindliche Form des Christentums in Northumbria, was eine wichtige Wende in der Geschichte des englischen Christentums darstellte.
Die Folgen dieser Entscheidung waren weitreichend:
- Vereinigung: Die Einführung des römischen Ritus trug zur Einheit und Zentralisierung des englischen Christentums bei.
- Expansion: Der römische Ritus verbreitete sich schnell im Rest Englands und löste die keltische Tradition weitgehend ab.
Kulturwandel: Die Synodus von Whitby führte zu einem kulturellen Wandel, da der römische Ritus mit einer neuen Form der Liturgie, Kunst und Architektur verbunden war.
Die Synodus von Whitby, obwohl sie zunächst nur eine regionale Angelegenheit schien, hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die Entwicklung des englischen Christentums.
Es ist interessant zu beachten, dass die Synodus von Whitby nicht nur ein religiöser Konflikt war, sondern auch Ausdruck politischer und kultureller Spannungen zwischen den angelsächsischen Königreichen und dem expandierenden fränkischen Reich. Die Entscheidung für den römischen Ritus kann als Zeichen der Annäherung Englands an das europäische Kontinent gesehen werden.
In der historischen Forschung wird die Synodus von Whitby bis heute kontrovers diskutiert. Einige Historiker betonen die Bedeutung der Synodus für die politische und kulturelle Einheit Englands, während andere auf die Verluste der keltischen Tradition hinweisen.
Es ist jedoch unbestreitbar, dass die Synodus von Whitby ein entscheidendes Ereignis in der Geschichte des englischen Christentums war, das den Weg für die Entstehung einer einheitlichen religiösen Kultur in England ebnete.